Steckbrief Weißstorch
Wappentier des NABU
Kein Wunder, daß sich um "Meister Adebar" zahlreiche Mythen und Legenden ranken. Bekanntlich bringt der "Klapperstorch" als Fruchtbarkeitssymbol die Babies, und viele Bauern glauben bis heute, daß ein Storchenhorst auf dem Dach das Haus vor Blitzschlag schützt. Auch wenn in der modernen Wissenschaft für derlei Aberglauben kein Platz ist, so ist das, was wir über den Weißstorch wissen, interessant genug.
Der Weißstorch (Ciconia ciconia) ist eine von weltweit 17 Arten aus der Familie der Störche; außer ihm brütet in Deutschland noch der sehr seltene Schwarzstorch (Ciconia nigra), der im Gegensatz zu seinem weißen Vetter ein extrem scheuer Bewohner urwüchsiger Wälder ist.
Geographische Verbreitung
Das Verbreitungsgebiet "unseres" Storches erstreckt sich über Europa, Nordafrika und Teile Asiens. Die Schwerpunkte der Verbreitung liegen zum einen auf der Iberischen Halbinsel (Spanien, Portugal) und in den Maghreb-Staaten (v.a. Marokko, Algerien, Tunesien), zum anderen in Osteuropa und Kleinasien. Besonders bemerkenswert ist eine Brutkolonie in Südafrika, die erst vor wenigen Jahrzehnten entstand. Zudem besiedelt eine Unterart des Weißstorches, der Turkestanstorch, ein recht kleines, isoliertes Areal in Zentralasien.
Trautes Heim
Der Storch ist ein echter Frühlingsbote: Ab Mitte März, meist jedoch Anfang April, kehren die Störche aus ihrem afrikanischen Winterquartier zurück. Meist kommen die Männchen einige Tage früher als die Weibchen an und besetzen nach Möglichkeit den Horst vom Vorjahr. Auch die Weibchen zeigen eine starke Bindung an ihren alten Horst, und so kommt es, daß häufig die "Ehepartner" vom Vorjahr wieder zusammenfinden. Dies ist jedoch allein durch die ausgeprägte Horsttreue bedingt und nicht etwa durch "Gattentreue bis in den Tod", wie es die Legende wissen will. Mit der "ehelichen Treue" nämlich nehmen Störche es nicht so genau. Umso erbitterter wird der Horst gegen Eindringlinge verteidigt. Reichen erregtes Geklapper und drohendes "Flügelpumpen" nicht aus, um einen fremden Storch einzuschüchtern, und gelingt es diesem, auf dem besetzten Horst zu landen, kommt es nicht selten zu stundenlangen blutigen Auseinandersetzungen, die mitunter zu schweren Verletzungen oder gar zum Tode eines der Kontrahenten führen können. Nichtsdestotrotz brüten Weißstörche gerne in Kolonien. In Gegenden, wo sie noch häufig vorkommen, kann man oft mehrere besetzte Horste auf einem Dach oder in einem einzigen Baum finden. Die Horste werden häufig über Jahrzehnte benutzt und von Jahr zu Jahr ausgebessert und vergrößert. Auf diese Weise können riesige Bauwerke von bis zu zwei Meter Durchmesser, vier Meter Höhe und über zwanzig Zentner Gewicht entstehen! Es wird berichtet, daß sich auf einem Scheunendach in Algerien 14 Storchenpaare angesiedelt hatten, bis schließlich das Scheunendach unter der gewaltigen Last zusammenbrach.
Paarung und Jungenaufzucht
Hat ein Paar einen Horst erobert, so kommt es zur Paarung - bei Adebars stets ein ziemlich wackeliger Balanceakt auf dünnen Stelzen, da es die Störchin vorzieht, dabei zu stehen. Vor- und nachher gibt es ausgedehnte Klapperduette, denn Klappern gehört bei Storchens sozusagen zum Handwerk. Wie anders sollten sie sich auch verständigen, denn außer einem Zischen bringen erwachsene Weißstörche im Gegensatz zu ihren stimmbegabteren schwarzen Vettern keinerlei Laute zuwege. Lediglich die Jungvögel tun ihren Eltern ihren ewigen Hunger mit einem dissonanten jaulend-miauenden Bettelgeschrei kund. Die Jungen schlüpfen nach einer Brutzeit von knapp fünf Wochen aus den weißen, etwa 110 Gramm schweren Eiern. Bei uns umfassen die Gelege meist 3-4 Eier, in Gegenden mit guten Umweltbedingungen werden dagegen 4-6, ausnahmsweise sogar 7 Eier gelegt. Solange die Jungen noch klein sind, bleibt stets ein Altvogel am Nest, um die Küken vor Feinden und Wetterunbilden zu schützen. Der Partner muß derweil genügend Nahrung herbeischaffen, um die hungrigen Schnäbel zu stopfen. "Gestopft", im Sinne des Wortes, werden die Küken allerdings nicht; sie picken das vom Altvogel ausgewürgte Futter selbständig vom Nestboden auf.
Nahrung
Während der ersten Wochen werden hauptsächlich Regenwürmer verfüttert, die auch für erwachsene Störche im Frühjahr nach ihrer Ankunft in der Brutheimat zunächst die Hauptnahrung ausmachen. Ansonsten ist der Weißstorch in der Auswahl seines Futters durchaus nicht wählerisch. Er frißt nahezu alles, was sich ihm bietet und was er bewältigen kann. Frösche spielen dabei keineswegs eine so überragende Rolle, wie gemeinhin angenommen wird. In guten Mäusejahren vertilgt der Storch große Mengen Feldmäuse. Daneben fängt er Maulwürfe, Eidechsen, Schlangen und läßt auch schon einmal ein Kiebitz- oder Fasanenküken "mitgehen". Auch Fische werden gern genommen, wenn er sie kriegt, denn im Gegensatz zum Reiher ist der Storch kein geschickter Fischfänger. Aber auch Insekten spielen eine sehr wichtige Rolle. Bei Untersuchungen in Ostpreußen hat man im Magen eines Storches 730 Blattwespenlarven gefunden, bei einem anderen fand man die Reste von 109 Maikäfern und bei einem weiteren 1.315 Feldheuschrecken. Im afrikanischen Winterquartier, bzw. auf dem Zuge dorthin machen häufig große Mengen der gefürchteten Wanderheuschrecken seine Hauptnahrung aus, so daß unser Storch in manchen Gegenden Afrikas auch "Heuschreckenvogel" genannt wird. Eine Storchenfamilie benötigt etwa 3 kg Nahrung pro Tag.
Der lange Flug nach Afrika
Solcherart versorgt, wachsen die Jungen schnell heran. Bereits nach 7 Wochen sind die Jungstörche fast so groß wie ihre Eltern, unterscheiden sich von ihnen aber noch durch schwärzliche Schnäbel und Beine. Nun macht der Nachwuchs erste Flugübungen im Nest, bis nach 9 Wochen die Jungstörche flügge sind. Nach 3 Monaten schließlich können sie selbst für sich sorgen, um sich ab Mitte August ohne die Führung ihrer Eltern, die ihnen meist erst eine Woche später folgen, auf den langen, gefahrvollen Zug in die afrikanischen Winterquartiere zu machen. Die Zugrichtung ist den Störchen angeboren, wobei es eine westliche und eine östliche Zugroute gibt. Eine sogenannte "Zugscheide" trennt die "Weststörche" von den "Oststörchen". Diese imaginäre Zone verläuft mitten durch Deutschland, von Holland aus in südöstlicher Richtung etwa bis zum Harz, wo sie nach Süden abknickt und bis zum Alpenrand führt. Störche, die westlich der Zugscheide brüten, ziehen über Frankreich und Spanien, überqueren das Mittelmeer bei Gibraltar und überwintern in der westafrikanischen Savannenzone. Die östlich der Zugscheide brütenden Störche dagegen ziehen über Osteuropa, überqueren den Bosporus, fliegen weiter über die Türkei und ziehen dann südwärts an der Ostküste des Mittelmeeres entlang, über den Golf von Suez, folgen dem Lauf des Nils und überwintern schließlich in Ost- und Südafrika.
Bei einer durchschnittlichen täglichen Flugstrecke von 150-300 km sind die Störche von Europa nach Südafrika etwa 8-15 Wochen unterwegs. Warum aber nehmen die Störche diese Umwege in Kauf und ziehen nicht auf geradem Wege direkt über das offene Mittelmeer nach Afrika? Die Erklärung liegt im Flugverhalten der Störche.
Der Storch ist mit einer Flügelspannweite von bis zu 2 m ein ausgesprochener Segelflieger. Geschickt nutzt er dabei die Thermik aus, warme Aufwinde, die dort entstehen, wo der Erdboden von der Sonne rasch erwärmt wird. Über dem Meer gibt es dementsprechend keine Thermik, und da der aktive Ruderflug für einen so großen Vogel über längere Distanz viel zu anstrengend ist, stellt das Mittelmeer für alle Segelflieger ein nahezu unüberwindliches Hindernis dar. Diese Barriere können Störche, aber z.B. auch große Greifvögel, nur an den schmalsten Stellen - eben an der Straße von Gibraltar und am Bosporus - überqueren. Hier kommt es dann häufig zu gewaltigen Ansammlungen dieser Zugvögel, die zu den spektakulärsten Naturschauspielen überhaupt gehören.
Gefährdung und Schutz
Auf dem Zuge und in den afrikanischen Winterquartieren lauem viele Gefahren auf die Störche. Neben natürlichen Verlusten durch Erschöpfung, widrige Wetterverhältnisse etc. sind hier v.a. die direkte Verfolgung durch den Menschen, der häufig unkontrollierte Einsatz von Pestiziden sowie die Zerstörung natürlicher Lebensräume zu nennen. Im Sudan und einigen anderen afrikanischen Ländern wandern die Weißstörche regelmäßig in die Kochtöpfe der einheimischen Hirten und Bauern, während im Nahen Osten nicht selten ganze Trupps mit Schnellfeuergewehren vom Himmel geholt werden - offenbar nur aus Spaß und Langeweile. Viel gefährlicher jedoch sind die beiden letztgenannten Faktoren. Übermäßiger Pestizideinsatz, z.B. gegen Wanderheuschrecken, vernichtet die Nahrungsgrundlage und führt durch die Aufnahme vergifteter Beutetiere zu chronischen oder akuten Schädigungen der Vögel. Direkt oder indirekt vom Menschen verursachte Lebensraumzerstörungen, von der Entwässerung von Feuchtgebieten bis hin zur Ausbreitung der Wüsten in der Sahelzone führen ebenfalls zu erheblichen Verlusten.
Untersuchungen haben gezeigt, daß die Verluste während des Zuges und in den Winterquartieren keineswegs die Hauptursache für den dramatischen Rückgang des Weißstorchs in Deutschland sind. Viel entscheidender wirkt sich offenbar die Zerstörung der Lebensgrundlagen in den Brutgebieten aus. Dies läßt sich bereits daraus ablesen, daß z.B. die polnischen Storchenpopulationen relativ stabil sind - obwohl sie in den gleichen Regionen überwintern wie die meisten unserer deutschen Weißstörche. Was aber ist in Polen anders als bei uns? Es ist die Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung und der Grad der Ausräumung und planmäßigen Entwässerung der Landschaft. So ist wohl auch die auffallend unterschiedliche Bestandsentwicklung in den west- und ostdeutschen Bundesländern zu erklären. Der Weißstorch ist in Deutschland ein typischer Bewohner des extensiv genutzten Feuchtgrünlandes. Nur hier, wo feuchte Wiesen und Weiden auch wirklich noch feucht sind, wo man noch Teiche, Tümpel und Weiher findet, wo in den Flußniederungen noch regelmäßige Überschwemmungen stattfinden und staunasse Bereiche das ganze Jahr über existieren, findet Adebar genügend Nahrung für sich und seinen Nachwuchs. Diese Nahrungsflächen müssen außerdem genügend groß sein - man rechnet etwa 200 ha für eine Storchenfamilie - und sie müssen in der Nähe der Brutplätze liegen. Vor allem während der ersten Lebenstage der Jungen suchen die Altstörche die Nahrung im Umkreis von nur wenigen Hundert Metern um den Horst. Um den Störchen zu helfen, nützt es also nichts, ein Wagenrad als Nistunterlage auf einem Dach anzubringen, wenn man nicht gleichzeitig entsprechende Lebensräume schützt oder wiederherstellt. Artenschutz bedeutet also auch hier wie überall gleichzeitig Biotopschutz!
Der Schutz von Feuchtgrünland kommt dabei aber selbstverständlich nicht nur dem Weißstorch als "Leitart" zugute, sondern ebenso vielen weiteren bedrohten Tieren und Pflanzen dieses Lebensraumes. Wo der Storch sein Auskommen findet, können auch Kiebitz und Uferschnepfe, Moorfrosch und Schachblume überleben.
Ein weiterer wichtiger Gefährdungsfaktor für Störche und andere Großvögel sind Verluste an Stromleitungen. Durch die flächendeckende "Verdrahtung" der Landschaft stehen Leitungsanflüge oder Stromschläge an geerdeten Masten mit an erster Stelle unter den Todesursachen für die Störche, v.a. für die noch unerfahrenen Jungvögel. Tödliche Stromunfälle lassen sich durch technische Maßnahmen weitgehend vermeiden, Leitungsanflüge jedoch nur durch unterirdische Verlegung von Stromleitungen. Nur so läßt sich verhindern, daß in Deutschland etwa 10% aller ausgeflogenen Jungstörche bereits im ersten Lebensjahr an Freileitungen tödlich verunglücken.
Der Naturschutzbund Deutschland hat traditionell bereits viel zum Schutz seines Wappenvogels getan. So wurden mit finanzieller Unterstützung u.a. durch den OTTO - Versand in Hamburg drei Schutz- und Informationszentren in den "Storchendörfern" Bergenhusen (Schleswig-Holstein), Linum bei Berlin und Rühstädt an der Elbe eingerichtet. Zusätzlich existiert in Bergenhusen das "NABU - Institut für Wiesen und Feuchtgebiete", das unter der Leitung des renommierten Weißstorch Experten Dr. Holger Schulz die internationalen Anstrengungen zum Schutz dieser Art koordiniert. Mittlerweile scheinen sich die Bestände in Deutschland nach starken Rückgängen (v.a. in den westdeutschen Bundesländern) in den vergangenen Jahren wieder leicht erholt bzw. stabilisiert zu haben. "Meister Adebar" ist nicht nur Teil unserer Umwelt, sondern auch Teil unserer Kultur und Tradition. Diesen prächtigen Vogel zu erhalten, rechtfertigt daher alle Anstrengungen. Hoffen wir, daß sie nicht vergebens sein werden!
In den Kirchwerder Wiesen, im Herzen der Vier- und Marschlande, brüten jedes Jahr mehrere Storchenpaare. Hamburg ist damit eine der wenigen Großstädte, in denen diese eindrucksvollen Vögel einen Lebensraum finden. Mehr →