Steckbrief Weißstorch
Wappentier des NABU



Jungstörche - Foto: Thomas Dröse
Kein Wunder, dass sich zahlreiche Mythen und Legenden um ihn ranken. Bekanntlich bringt der "Klapperstorch" als Fruchtbarkeitssymbol die Babys, und viele Bauern glauben bis heute, dass ein Storchenhorst auf dem Dach das Haus vor Blitzschlag schützt. Auch wenn in der modernen Wissenschaft für derlei Aberglauben kein Platz ist, so ist der Weißstorch (Ciconia ciconia) doch einer der bekanntesten und am besten erforschten Vögel hierzulande. Er brütet in offenen Kulturlandschaften und baut sein Nest häufig auf Schornsteinen, Dächern oder Kirchtürmen. Im Frühling und Sommer sieht man ihn im ruhigen Segelflug hoch am Himmel kreisen. Für die Wintermonate zieht er nach Afrika oder in den Mittelmeerraum.
Geographische Verbreitung
Das Verbreitungsgebiet „unseres“ Weißstorches erstreckt sich über Europa, Nordafrika und Teile Asiens. Die Verbreitungsschwerpunkte liegen einerseits auf der Iberischen Halbinsel (Spanien, Portugal) und in den Maghreb-Staaten (vor allem Marokko, Algerien und Tunesien) und andererseits in Osteuropa und Südwestasien. Besonders bemerkenswert ist eine Brutkolonie in Südafrika, die erst vor wenigen Jahrzehnten entstanden ist. Zudem besiedelt eine Unterart des Weißstorches, der Turkestanstorch, ein kleines, isoliertes Areal in Zentralasien.
Heimkehr in hohe Nester
Der Storch ist ein echter Frühlingsbote. Von Mitte März bis Anfang April kehrt er aus seinem afrikanischen Winterquartier zurück. Meist kommen die Männchen einige Tage früher als die Weibchen an und besetzen nach Möglichkeit ihren alten Nistplatz (Horst) aus dem Vorjahr. Kurz darauf folgen die Weibchen, sodass viele Paare Jahr für Jahr wieder zueinanderfinden. Jedoch nicht aus romantischer Treue, sondern aus tiefer Verbundenheit mit ihrem Horst.
Doch die Rückkehr ist nicht immer friedlich: Wird ein Horst streitig gemacht, entbrennen erbitterte Kämpfe. Wenn erregtes Geklapper und drohendes „Flügelpumpen” nicht ausreichen, um einen fremden Storch einzuschüchtern, und es diesem gelingt, auf dem besetzten Horst zu landen, kommt es nicht selten zu stundenlangen, blutigen Auseinandersetzungen. Diese können zu schweren Verletzungen oder gar zum Tod eines der Kontrahenten führen. Nichtsdestotrotz brüten Weißstörche gerne in Kolonien. In Gegenden, in denen sie noch häufig vorkommen, kann man oft mehrere besetzte Horste auf einem Dach oder in einem einzigen Baum finden. Die Horste werden über Jahrzehnte hinweg genutzt, von Jahr zu Jahr ausgebessert und vergrößert. So können riesige Bauwerke mit einem Durchmesser von bis zu zwei Metern, einer Höhe von bis zu vier Metern und einem Gewicht von mehreren hundert Kilogramm entstehen und sogar ein Hausdach zum Einsturz bringen.
Paarung und Jungenaufzucht
Ist der Horst erobert, beginnt das Liebesspiel – wacklig, aber innig. Denn bei den Störchen bleibt die Störchin beim Paaren lieber stehen, was für das Männchen ein Balanceakt auf hohen Stelzen bedeutet. Begleitet wird das Ganze von ausgiebigem Klappern – mal zärtlich, mal lautstark. Diese rhythmischen Duette dienen nicht nur der Balz, sondern auch der Verständigung. Nur der Nachwuchs durchbricht das Schweigen: mit einem klagenden, rauen Fiepen des ewigen Hungers.
Die Küken schlüpfen nach einer Brutzeit von knapp fünf Wochen. Bei uns in der Region umfassen die Gelege meist drei bis vier, in besonders günstigen Lebensräumen sogar bis zu sieben Eier. Solange die Küken klein und schutzbedürftig sind, bleibt ein Altvogel stets am Nest – als Wächter vor Feinden und schlechtem Wetter. Der Partner fliegt derweil pausenlos Nahrung herbei, um die hungrigen Schnäbel zu stopfen. "Gestopft", im Sinne des Wortes, werden die Küken allerdings nicht. Die Kleinen picken selbst, neugierig und unbeholfen, das Futter vom Nestboden auf. So beginnt für sie das Leben im Rhythmus von Hunger, Klappern und Fürsorge.
Nahrung
Wenn der Storch im Frühling heimkehrt, beginnt seine Nahrungssuche fast bescheiden: Vor allem Regenwürmer landen auf dem Speiseplan – leicht zu fangen, reich an Energie und damit perfekt für den Neustart nach dem langen Flug. Auch die hungrigen Küken bekommen in den ersten Wochen vor allem diese schlüpfrige Delikatesse serviert. Darüber hinaus ist der Weißstorch in der Auswahl seines Futters nicht wählerisch und vertilgt nahezu alles, was sich ihm bietet und er bewältigen kann. Feldmäuse stehen ganz oben auf dem Speiseplan, daneben auch Maulwürfe, Frösche, Eidechsen, Schlangen oder sogar mal ein Küken von Kiebitz oder Fasan. Fische nimmt er auch gern – wenn er sie zu fassen kriegt. Denn im Gegensatz zum geschickten Reiher ist der Storch eher ein Gelegenheitsangler. Der Großteil seiner Nahrung besteht allerdings aus Insekten: Von Blattwespenlarven über Maikäfer bis hin zu Heuschrecken – teils in erstaunlicher Menge. In seinem afrikanischen Winterquartier wird der Storch wegen seiner Vorliebe für Wanderheuschrecken sogar „Heuschreckenvogel“ genannt. Und der tägliche Bedarf? Eine einzige Storchenfamilie verspeist bis zu vier Kilogramm Nahrung pro Tag – eine tägliche Herausforderung, wenn man bedenkt, dass jedes einzelne Beutetier mühsam mit Schnabel und Geduld erjagt werden muss.
Der lange Flug nach Afrika
Kaum aus dem Ei geschlüpft, wachsen die jungen Störche rasant heran. Bereits nach sieben Wochen sind sie fast so groß wie ihre Eltern – nur dunklere Schnäbel und Beine verraten ihr Alter. Bald darauf beginnen erste Flugversuche im Nest, bis die Jungstörche mit neun Wochen flügge sind. Nach drei Monaten können sie schließlich selbst für sich sorgen und machen sich ab Mitte August ohne die Führung ihrer Eltern auf den langen und gefahrvollen Weg in die afrikanischen Winterquartiere. Erstaunlich, dass sie instinktiv wissen, wohin sie fliegen müssen. Die Eltern folgen ihnen meist erst eine Woche später.
Die Zugrichtung ist den Störchen angeboren, wobei es eine westliche und eine östliche Zugroute gibt. Eine sogenannte "Zugscheide" trennt die "Westzieher" von den "Ostziehern". Diese imaginäre Zone verläuft mitten durch Deutschland. Störche, die westlich der Zugscheide brüten, ziehen über Frankreich und Spanien, überqueren das Mittelmeer bei Gibraltar und überwintern in der westafrikanischen Savannenzone. Die östlich der Zugscheide brütenden Störche dagegen ziehen über Osteuropa, überqueren den Bosporus, fliegen weiter über die Türkei und ziehen dann südwärts an der Ostküste des Mittelmeeres entlang, über den Golf von Suez, folgen dem Lauf des Nils und überwintern schließlich in Ost- und Südafrika. Hamburg befindet sich auf der Zugscheide. Hier gibt es sowohl Ost- als auch Westzieher. Ihre Reise dauert 8 bis 15 Wochen, mit Tagesetappen von bis zu 300 Kilometern.
Warum aber fliegen sie diese langen Umwege? Der Grund liegt in ihrem Flugverhalten: Störche sind elegante Segelflieger, die warme Aufwinde – Thermik – nutzen. Diese entstehen dort, wo der Erdboden von der Sonne rasch erwärmt wird. Über dem offenen Meer fehlen sie. Deshalb meiden Störche das Mittelmeer und sammeln sich an schmalen Übergängen wie Gibraltar oder dem Bosporus. Dort entstehen beeindruckende Versammlungen von Tausenden Zugvögeln – ein Naturwunder am Himmel, das kaum jemand vergisst, der es einmal gesehen hat.
Gefährdung und Schutz
Für den Weißstorch steckt der Weg nach Afrika voller Gefahren. Wetter, Erschöpfung und Beutegreifer fordern ihren Tribut – doch der größte Feind ist der Mensch: In manchen Regionen wird der Storch gejagt, gegessen oder aus Spaß abgeschossen. Weitaus bedrohlicher sind jedoch die schleichenden Gefahren: Pestizide, die seine Nahrung vergiften und Lebensraumverlust, der ihn seiner Existenzgrundlage beraubt.
Doch nicht der Zug nach Afrika ist das Hauptproblem – sondern das, was er bei uns in Deutschland vorfindet. Wo Feuchtwiesen trockengelegt, Bäche begradigt und Landschaften ausgeräumt wurden, fehlt ihm das, was er zum Überleben braucht: offene, nasse Wiesen voller Leben. In Polen etwa, wo die Landwirtschaft oft noch extensiver betrieben wird, sind die Storchenbestände weit stabiler – obwohl die Vögel in denselben Regionen überwintern wie unsere. Ein einziges Storchenpaar benötigt rund 200 Hektar Nahrungsfläche in Nestnähe, besonders in den ersten Lebenstagen der Jungen. Ein Nest allein nützt nichts, wenn man nicht gleichzeitig entsprechende Lebensräume schützt oder wiederherstellt – Artenschutz ist also auch Biotopschutz. Wo der Storch genug Nahrung findet, profitieren auch andere gefährdete Arten wie Kiebitz, Uferschnepfe, Moorfrosch und Schachblume. Hinzu kommt eine stille Gefahr: Stromleitungen. Etwa 10 % der Jungstörche sterben schon im ersten Jahr durch Leitungsanflüge oder Stromschlag – Verluste, die mit Technik und unterirdischer Verlegung vermeidbar wären.
Doch es gibt Hoffnung: Mit Hilfe von Schutzprogrammen und -zentren kämpft der NABU für den Fortbestand seines Wappenvogels. So wurden z.B. drei Schutz- und Informationszentren in den "Storchendörfern" Bergenhusen (Schleswig-Holstein), Linum bei Berlin und Rühstädt an der Elbe eingerichtet. Zusätzlich existiert in Bergenhusen das "Michael-Otto-Institut im NABU", dass die internationalen Anstrengungen zum Schutz dieser Art koordiniert. Mittlerweile scheinen sich die Bestände in Deutschland nach starken Rückgängen (v.a. in den westdeutschen Bundesländern) wieder erholt bzw. stabilisiert zu haben. Nicht zuletzt durch die bundesweiten Schutzbemühungen seitens des NABU. Der Weißstorch ist nicht nur Teil unserer Umwelt, sondern auch Teil unserer Kultur und Tradition. Diesen prächtigen Vogel zu erhalten, rechtfertigt daher alle Anstrengungen und ist ein Symbol dafür, dass sich Einsatz lohnt.
In den Kirchwerder Wiesen, im Herzen der Vier- und Marschlande, brüten jedes Jahr mehrere Storchenpaare. Hamburg ist damit eine der wenigen Großstädte, in denen diese eindrucksvollen Vögel einen Lebensraum finden. Mehr →